Lauberhornrennen im Sommer

Carl Aigner

Lauberhornrennen
DIE WELT ALS BLICK
oder die Kunst des Lauberhornrennens bei Daniel Zimmermann

Nur die Kunst vermag es,
die Welt immer wieder neu zu sehen
Paul Valéry

Seit Anfang der neunziger Jahre thematisiert Daniel Zimmermann die künstlerischen Möglichkeiten der Veränderbarkeit von Sichtweisen auf heterogenste Räume und Raumsituation. Natur-, Landschafts- und Architekturräume geraten dabei ebenso in sein Blickfeld wie Alltagsobjekte oder Sporträume wie vor kurzem die Olympiabobbahn in St. Moritz und als neuestes Projekt die Abfahrtstrecke des Lauberhornrennens.
Wie bei allen vorangegangenen Projekten arbeitet Zimmermann auch bei seinem soeben realisierten Projekt «Lauberhornrennen im Sommer» mit einer spezifischen Methodik, um seine künstlerische Programmatik umsetzen zu können. Mittels tausender genormter Holzleisten (gleich Zauberstäben) wird ein visuelles Struktur- und Wahrnehmungsfeld erzeugt, im konkreten Fall ist es die Ideallinie der Lauberhornabfahrt. Diese installative Landschaftsintervention, welche die Ideallinie in der Naturlandschaft konkret sichtbar macht, wird medial (fotografisch und filmisch) als Stereoskopie-Dia aufgenommen. An genau jenen Orten, wo diese Aufnahmen gemacht wurden, werden 3-D-Viewer installiert, die einen imaginären Blick auf die ehemals durch die Holzleisten real markierten Streckenverläufe ermöglichen. Zimmermann entwickelt damit neue Formen und Möglichkeiten einer Land Art, die über die Priorität der Natur weit hinausgehen.
Nicht ein Rückzug auf die Natur oder deren künstlerische Reflexion via direkten Eingriffen und Veränderungen ist vorrangig, sondern deren aus der sozialen, kulturellen oder technischen Handhabung resultierenden Wahrnehmungsbilder. Im Kontext etwa von Skirennen ist die Naturlandschaft nicht mehr Naturlandschaft, sondern mutiert zu einer Wahrnehmungskulisse: sie wird zu einem «Bühnenbild» für das alpine Sportspektakel. Die konträre künstlerische Intervention vermag damit Räume neu zu definieren und zu formulieren.
Dabei spielt Zeitlichkeit eine vielfältige Rolle. Einerseits im Jahreszeitenwechsel (Sommer, nicht Winter!), andererseits in der Wahrnehmungsdiskrepanz von (medialer) Präsenz und realer Absenz (die Holzleisten sind in der Landschaft nicht mehr real vorhanden). Es ist das Prinzip der Irritation, welches zu Wahrnehmungskollisionen führt und ein polyphones Zeitempfinden zu suggerieren vermag. All unsere jahrzehntelang konsumierten touristischen Medienbilder vom Lauberhornrennen geraten aus der Wahrnehmungsspur und verlieren sich im zeitlichen Niemandsland. Wie überhaupt die filmische Medialisierung des Projektes eine weitere künstlerische Wahrnehmungsebene ermöglicht: Im «Genre» einer Inszenierung mit authentischen Stimmbeitrag verschiebt sich eine weiteres Mal das «Lauberhornrennen» und imaginiert das Original als Bildklon. Dies führt weit über traditionelle und gängige Landart-Projekte hinaus und elaboriert sie als «Medienerreignis».
Mit feiner Ironie entfaltet Zimmermann ein subtiles und inversives Wahrnehmungsspiel nicht nur zwischen realer Welt und medialer Virtualität, sondern auch zwischen Natur und Sport, Klischees und authentischem Begehren. Immer wieder lässt der Künstler unsere Erwartungen und Sehnsüchte mit dem konkret Vorhandenen kollidieren, manchmal auch implodieren. Sein sommerliches «Lauberhornrennen» ist damit auch Metapher und Symbol für Wahrnehmungskurzschlüsse, sei es in Bezug auf die Natur, sei es auf deren sozialen, gesellschaftlichen Gebrauchsweisen. Pierre Bourdieu hat schon Recht, wenn er schreibt, dass es keinen unschuldigen Blick auf Natur gibt, dass der reine Blick ein gesellschaftliches Märchen ist. Die Arbeiten von Daniel Zimmermann indes sind gewiss ein unablässiger Versuch, wenn schon keinen reinen, so doch einen immer wieder «gereinigten» Blick auf unsere Welt und Weltbilder zu gewinnen.

Carl Aigner
Direktor des Niederösterreichischen Landesmuseums St. Pölten.
Gründungsherausgeber Kunstzeitschrift für Photographie & Neue Medien EIKON, Wien.
Präsident von ICOM-Österreich (Internationaler Museumsrat).